„Die Bildwelten von Günter Frecksmeier sind vor allem bestimmt durch ihre Brüchigkeit – in den Ansätzen ihrer Gestaltung, in ihren Stilformen, ihren inhaltlichen Bedeutungen. Jede Bewegung stößt gleich wieder an Starrheit und Begrenztheit, jeder Gegenstand geht über in abstrakte Farben, jedes Motiv erscheint unvermittelt und unerklärbar. Frecksmeier ist nicht jemand, der mit solchen Brüchen spielt. Er „bedient“ sich ihrer nicht als Mittel für Effekte. Es gibt Virtuosen der Brüchigkeit, die ihre Tricks beherrschen, Jongleure der Verwandlungskunst und der Diskontinuitäten. Frecksmeier steht nicht über der Sache. Sein Fragen und Suchen ist nicht nur eine Attitüde des In-Frage-Stellens, seine Brüchigkeit läuft nicht nur hinaus auf jene verkniffene Ironie, die von vornherein schon jedes Wörtlich-Nehmen ausschließt und es sich in ihrer so gewonnenen Unantastbarkeit wohl einrichtet. Es gibt Taktiker des Rätselhaften, die genau wissen, wie man den Anschein des Rätselhaften erzeugt; es gibt Expressionisten, bei denen die Ekstase zum soliden und bewährten Handwerk gehört; es gibt Surrealisten, die jedes Unvorhersehbare genau nach Plan ablaufen lassen.
In den Bildern von Günter Frecksmeier herrscht nicht eine solche durchkalkulierte Ordnung. Da gibt es keinen Eindruck des Darüber-Stehens und der unantastbaren Sicherheit. Er setzt ein, was ihn bewegt, worüber er nachdenkt, was ihm Eindruck macht. Gerade der Mangel an Glätte und Kalkulation ist ein Zeichen von Ehrlichkeit. Verlogen ist weniger, wer nicht die Wahrheit sagt. Verlogen ist, wer meint, was er sagt, sei durch und durch die Wahrheit. Was wäre Wahrheit bei solchen Themen wie „Mythos“, „Krieg“, „Stadt“, „Himmel“ oder „Erde“. Jede Aussage, die hier zu Ende formuliert wäre, die als Wahrheit daherkäme, wäre schwülstig und unerträglich. Und doch bewegen uns diese Themen. Frecksmeier geht sie an, indem er nichts als Versuche formuliert, Ansätze, die ihr Scheitern schon in sich tragen – und es offen zeigen. Die Bilder von Frecksmeierhaben nicht eine geschlossene Oberfläche, die den Anschein von
Ganzheit erwecken. Sie bleiben offen für die Abgründe, für das Unverständliche und Unkalkulierte. Sie bewahren für sich auch dieMöglichkeit, Einflüsse einzubeziehen, die nicht gleich wieder zu einemSystem rationalisiert und durchkonstruiert werden. Diese Bilder zeigen
nicht Unantastbarkeit, sondern Empfindlichkeit, Verletzlichkeit und Hilflosigkeit; nicht das Beherrschen, sondern ein Ausgeliefert-Sein.
In einer Zeit, in der die vorgeblichen und die eigentlichen Zwecke ständig völlig differieren, in der jede Unmittelbarkeit schon als naiv gilt und Taktik als Lebenskunst, ist eine Haltung bemerkenswert, die ihre Unsicherheit, ihr Bedrohtsein und ihre Fähigkeit, sich beeindrucken zu lassen, offen darstellt, die es auf ständig neue Versuche ankommen lässt, in dem unerschütterlichen – und doch stets erschütterten Glauben, daß sie gelingen könnten.
Erich Franz in: »Vordergrund – Abgrund«, Katalog zur Ausstellung in
der Kunsthalle Bielefeld 1983.