Eine Betrachtung von Bernd Schlipköther
Lebensstufen, 2006. Die Hand als Werkzeug des (Maler-) Geistes?
Eine Hand ruht – wie abgetrennt, aufgestellt und weit geöffnet, die Innenfläche sichtbar – auf einem Rundholz. Über den Handballen ziehen sich die sogenannten ›Lebenslinien‹, eine davon genäht. Eine ›Lebensnaht‹? Parallel dazu verläuft ein Gleis, das eine Spielzeugeisenbahn befährt und sich dem abgeschnittenen kleinen Finger der aus sieben Fingern bestehenden Hand nähert. Ein Mensch versucht sich hinter dem Daumen zu verstecken, oder anders gesagt: Er lugt aus seinem Versteck hinter dem Daumen hervor. Der Zeigefinger, der zu einem sich reckenden Menschen aufwächst, streichelt den Kopf eines anderen Menschen, der Sigmund Freud sein könnte, welcher aus dem Ringfinger herauswächst. Dieser Ringfinger entpuppt sich als ein Hochhaus. Des weiteren schweben im Bildraum eine geometrische Figur, drei größere Häuser und eine Schlinge, die einen ›verschlungenen Weg‹ andeuten könnte. Ganz hinten im Bild wächst ein Baum. Diese absurde ›Weltordnung‹ existiert in froher Farbe: von einem rötlich schimmernden Orange, über Rosa, Mint und in Grüntönen. Eine Metonymie! (Metonymie = Namensvertauschung in einem übertragenen Sinne, Anmerkung der Redaktion) Wir befinden uns inmitten der ausufernden, mäandernden, assoziativen Welt des Malers Günter Frecksmeier.
Die Bildreise bei Günter Frecksmeier ist immer eine Bildungsreise.
Die Bildreise des Günter Frecksmeier ist ohne Bildungsreise nicht denkbar. Sie führt uns in Themen der Kunstgeschichte, der Kulturgeschichte, der Literatur und Mythologie. Politische und religiöse Themen blättern wir auf: Porträts aus der Sagenwelt Homers, Reisen an die Spielorte, Troja, den Peleponnes und zu Heiligtümern der alten Griechen. Wir treffen unter anderem auf Patroklos, Achilleus, Orpheus u. v. a.
Olympia (Griechenland)
Wenn wir dann den Blick auf eine andere Bildwand richten, befinden wir uns inmitten der uns umgebenden Moderne. Da rangieren nebeneinander der Ostwestfalendamm, Päpste, Mensch und Tier, Politiker, Freunde im Porträt und Assemblagen mit ›zu handenen Dingen / im existen- tialen Mitsein‹: Ofenrohre, Wärmflaschen, Sardinenbüchsen, Gartenzäune und Kochlöffel.
Fassen wir die nächste mit Bildern bestückte Wand ins Auge, treten wir ein in Arenen mit Ringern und Bärendompteuren. Und dann thematisiert der Maler die Aufführungen selbst; sinnfälligerweise mit einem Blick aus den Kulissen, seitlich vom Bühneneingang aus gesehen fällt der Blick auf die Bühne der Akteure und den Zuschauerraum.
Vor der Imaginationskraft des Malers Günter Frecksmeier ist nichts sicher.
Er wurde 1937 in Bielefeld geboren, wächst zwischen Bombentrichtern und dem im Wiederaufbau befindlichen Bielefelder Osten, dem ›Vierten Karton‹, wie die Fabrikarbeiter und kleinen Handwerker, die dort hauptsächlich leben, ihren Stadtteil nennen. Dazwischen spielt Günter an der Huberstraße Fußball und absolviert eine Malerlehre, 1951 bis 1954.
Mief der 50er Jahre. Freiheit der Kunst!
Was kann ein junger Mann, der viel liest, die Augen aufsperrt, zuhört und in den Nachkriegswirren auf die Suche nach Erklärungen geht, machen? Günter Frecksmeier besinnt sich auf das, was seine Liebe und Erfüllung findet: die freie Malerei. Er geht in jede für ihn erreichbare Ausstellung und besucht 1963 für kurze Zeit die Kunstakademie Düsseldorf. Die eigenen Bilder, die jetzt entstehen, überzeugen. Seinen Horizont erweitert die Bildende Kunst. Er ist Autodidakt und bleibt es, jenseits der scholastischen ›Akademien‹. Die frühen Ausstellungen zeigen, dass er Anerkennung findet: Er stellt in der Studiengalerie der Kunsthalle Bielefeld aus, im Kunstverein Bielefeld, dessen Mitarbeiter er eine Zeit lang wird, im Pöppelmann-Haus in Herford, im Kapuzinerkloster Dornach, Schweiz und vielen Galerien der Region. Man erkennt in seiner Malerei den eigenwilligen Erzähler, die Offenheit in der Bildgestaltung, die überraschenden Übergänge zwischen Figürlichem und Abstraktem. Günter Frecksmeiers Bilder sind offen gestaltet. Die Horizontale ist räumlich selten richtig geschlossen und fast jedes Bild bedient sich des großen Spektrums der Farbpalette.
Der Anti-Orthodoxe, der Außenseiter und die ›arme Malerei‹.
Hinzu kommt, dass Günter Frecksmeier in seiner Kunst durch die Auswahl des Materials, angefangen beim Malgrund (Pappen, Weggeworfenes) bis gelegentlich hin zum Farbauftrag, bewusst eine ›arme Malerei‹ inszeniert. Und er lebt sie: Franziskus von Assisi ist in seinen Bildern ein immer wieder aufscheinendes Idol. Die ausgemusterte, abgestellte Regalplatte erfährt ihre neue Bestimmung als Trägerin malerischer Fantasie und aufgezeichneter Kulturgeschichte. Dass seine Malerei einfache, arme Bildträger, Weggeworfenes tragen und nicht flämisches Leinen, kann eins deutlich machen: Eine ›reiche‹ Bildwelt findet ihre ›Berechtigung‹ nur auf einem ›armen‹ Grund.
Mal-Stationen
Die Bilder, die Anfang der 60iger Jahre entstehen, zeichnen sich durch besonders weiche, schimmernde Farbtöne aus. Die Ausstrahlung dieser Arbeiten bestechen u. a. durch die empfindsame ›Ausmalung‹ einer und mehrerer Farben. Sie enthalten in ihrem – ob figürlichen oder abstrakten – Bildgefüge einen besonderen poetischen Ausdruck; es lassen sich Bezüge zur Romantik erkennen. Über die Zeit seines Malerlebens hinweg ist kennzeichnend für Günter Frecksmeier, dass er den absurden und symbolischen figürlichen Darstellungen oft abstrakte Formen zur Seite stellt. Seine Bilder und dreidimensionalen Werke sind in dieser Weise gemischt. Es gehört zur Dramaturgie seiner Bilder, dass er die ›Themen‹ in Bestandteile auflöst. Dennoch ist das Bild vorgeblich für den Betrachter immer eine Erzählung. Allerdings, um was es sich genau handelt, lässt sich nicht ohne Einblicke in die Rätselhaftigkeit und Absurdität der Werkphilosophie des Malers ergründen. Der führt ihn bereitwillig auf den Weg, verbirgt sich aber vor der Eindeutigkeit der Erklärung. Wie auf den mittelalterlichen Marktplätzen benutzt Günter Frecksmeier eine Art von Metonymie für seine Malerei. Er stellt eine Beziehung her zwischen dem wörtlich Gesagten und dem im übertragenen Sinn Gemeinten. Mit der Sprache allein lässt sich das im Bild wesentlich Gemeinte nicht immer in ausreichender Weise erfassen.
Seit den späten 90iger Jahren ergänzt Günter Frecksmeier seine frühe ›romantische Malerei‹ mit einer an Beckmann erinnernden, dramatischen, konturierenden Linienführung und intensiverer Farbgestaltung. Letztlich finden wir eine Vielzahl von Vergleichsmöglichkeiten bei den ›Erhitzern‹ der Moderne. Mit seinen fast 60 Jahren ›Maler-Leben‹ hat Günter Frecksmeier natürlich selbst einige kunstgeschichtliche Perioden durchlebt. Das Studium der Malerei war für ihn unaufhörlich verbunden mit dem Sehen unendlich vieler Bildwerke und den Reisen zu diesen kulturgeschichtlichen Gütern in der Nähe und in der Ferne. An Ort und Stelle suchte und sucht er für sich die malerischen Ideen, die in der Auseinandersetzung mit dem Angeschauten die eigene Position festigt, infrage stellte oder verändert.
Keine Schublade
Eine Schublade gibt es für das künstlerische Schaffen Günter Frecksmeiers nicht. Er deutet Malerei, Leben und Mythos subjektiv und sehr viel anders als es scholastisch gelehrt wird. Das ist so, weil Art und Weise des menschlichen Daseins in Gänze für ihn nie nur rational zu fassen ist. Insofern bleibt er der Götterwelt, den Minotauren, dem Mensch-Tier-Verhältnis gewogen, gelegentlich auch dem Außerirdischen. Dass kann nur den verwundern, der sich ausschließlich ans Rationale gebunden fühlt. Dass die Welterfahrung, dass Liebe, Sorge, Angst, Gewalt u. a. m. immer auch in Vorstellungen vom Absurden der Existenz vorhanden sind, sind tragende Elemente in Günter Frecksmeiers bildnerischer Weltdeutung.