Von der Notwendigkeit der Malerei – von Prof. em. Jörg Boström

Schwer zu ertragen diese Sache, mit der wir es zu tun haben. Ich meine unser Lebens im einzelnen und allgemeinen, schwer zu ertragen ohne Malerei. Von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins spricht Milan Kundera in seinem so betitelten Roman. Er schreibt dagegen an. Wir haben es hier mit der Bilderwelt, mit den Sensationen des Sehens zu tun. Um nicht unterzugehen in dem Gestrüpp des Kausalen, des Banalen, der Frühstücksprobleme, dem Picken um die Hackordnung, dem Feilschen um die Soße aus einer immer gleichen Küche, wehren wir uns mit dem Stift. So auch Frecksmeier. Auf großen Flächen, auf kleinen Papieren, bilden wir die Flächen und Figuren, die Farbsplitter und Lineamente unseres tonlosen Widerspruchs. Außer denen, die selbst dieser Sucht verfallen sind, sich in Bildern darzustellen, zu spiegeln und zu verformen, halten viele die Produkte dieses Tuns für Verschönerung, für Schmuck.

Malerei sagt Picasso, ist nicht erfunden worden, um die Wände zu schmücken, sondern als Angriff und zur Verteidigung gegen den Feind. Welchen Feind? Niemand bedroht uns ernsthaft, nur die Banalität und der Tod. So gesehen, ist Malerei eine ekstatische, aus sich herausbrechende Form des Lebens, ohne Zweck, wie dieses selbst. Man darf so weit gehen zu behaupten, je zweckloser eine Bilderwelt, desto näher ist sie am Leben, an der Artikulation unserer Existenz. Dieses Tun auf Leinwänden und Papieren, das in Ausstellungen und Katalogen eine bürgerliche, sich ordentlich eingefügte Form gibt, die sich hier als Festveranstaltung in die Zweckbestimmung einmogelt, existiert in Wahrheit nur aus sich selbst und für sich selbst. Malerei gehört zu unseren elementarsten Äußerungen.Man erkennt in der Geschichte die Geburtsstunde des menschlichen Bewusstseins in den Höhlen von Lascaux, in den Jägern und Tieren, in den Schwimmerbildern unter dem Boden der Wüste Sahara. In der von Zweck- und Zieldenken strukturierten, verschulten Welt bricht dieser ungezogene Trieb zur visuellen Musik immer wieder auf.

Der Körper ist das Instrument dieser Produktionen, die Hand, das Auge, aber auch Arme, Beine, Bauch und Kopf. Jeder Strich, jeder Farbauftrag auf der Fläche, geht durch Nerven und Muskulatur. So ist es nicht verwunderlich, dass der Körper, die Figur, die physische Empfindung des Selbst immer wieder zum Inhalt der Bilder wird, selbst da wo diese sich in freien Formen auf der Leinwand entwickeln. Die Kunstpsychologie spricht von eine anthropomorphen Struktur unseres Sehens und Gestaltens. Wenn die Welterfahrung vom ersten Griff des kleinen Kindes an seinen Zeh bis zur Umarmung des anderen Menschen über den Körper läuft, durch ihn hindurchgeht, so ist es begreiflich, dass dies sich in den Bildern niederschlägt.

Man spürt in den Werken dieses Künstlers nicht nur die geistige, sondern auch die körperliche Präsenz. Das Auge umfasst die umgebende Welt wie eine Kamera. Die Kamera gestaltet im Zugriff auf das Gesehene schon die eigene Welt. Im Kopf verbinden sich die Bilder und ihre Elemente zu immer neuen Konstellationen. Es ist eine vom Bewusstsein kaum noch zu steuernde Zusammenfügung immer neuer Bildwelten. Die Malerei macht diese sichtbar. Insofern ist Kunst auch ein Stück weit Indiskretion, ein Überschreiten der Grenzen von Intimsphären zwischen Gestalter und Betrachter. Die Faszination des Gestalters beim Setzen der Linien, des Strichgespinsts, das sich in Aufbau und Zerstörung fortentwickelt zu einer scheinhaften Endgültigkeit, die sich schon bei bildnerischen Vorstellungen fast zwanghaft entwickelt, ist in diesen verschlungenen Bildern zu erleben.  Eine neu zusammengefügte Welt strahlen die Werke immer wieder aus. Schon unbestimmte Formen im Material setzen unsere Vorstellung in Bewegung. Sie können vielerlei bedeuten, Flecken, Wolken, abgeschrubbte Dielenböden, Schaum, Rauch, Büsche in der Nacht, Zypressen und zerfließende Milch im Teeglas. Sie sind in den Umrissen offen, bewegt, erzeugen ständig neue Bildverbindungen.

Leonardo da Vinci empfiehlt den Blick auf bunt gefleckte Mauern. Als Künstler der Renaissance sieht er Schlachten darin, Gestalten mit lebhaften Gebärden, seltsame Gesichtszüge und Gewänder. Erlkönigs Töchter sieht der Reiter in Goethes Gedicht in den Nebelschwaden und Finsternis aus dem Gesträuche blickt ihn selbst mit schwarzen Augen an. Dem Surrealisten Max Ernst erscheint die Sphinx in ihrem Stall. Für den Psychologen Leo Navratil ist das menschliche Gesicht als Urerfahrung des ersten Blickes auf die Welt die stärkste Vision in der Deutung des Unbestimmten, weiterhin sieht er darin Anthropomorphes, Körperformen in unheimlicher, fantastischer und sexueller Formation.

Fast zeitgleich mit den Surrealisten entdeckt im Behn-Rorschach Test die Psychologie die Bedeutung der Ausdeutung nicht festgelegter Bilder. Die Tafeln mit sorgfältig getesteten Klecks-Bildern dienen der Analyse gutwilliger Patienten und werden zeitweilig als Grundlage für Einstellungsgespräche missbraucht. Es geht darum, die tiefen Schichten der Psyche und der Bilder zu reizen, hervorzukitzeln, die festgefahrenen Klischees der Massenkultur aufzuweichen, um die darunter fließenden Lavaströme freizulegen und ihre Form Welt im Zustand ihrer Entstehung zu erleben. Die Arbeit mit wuchernden Strichen, den Verletzungen und dem emphatischen Streicheln der Oberflächen, dem Fließenden, noch unbestimmten  Figurieren, dem allmählich sich Formenden vermittelt ein immer wieder faszinierendes Erlebnis, wenn man sich mit und neben dem Künstler darauf einlässt, es führt zu einer Offenheit und unbefangenen Intimität der Bildsprache, welche an die Grenzen der Person führen kann, an die Haut und gelegentlich unter sie.

Zwischen Selbsterfahrung, Bildentwicklung, Zugriff auf die Innenseiten, an die sich auflösende Grenze zwischen Innen und Außen, zwischen sich selbst bestimmendem Material und Kunst bewegt sich auch die verschlungene Bilderwelt von Günter Frecksmeier. Nicht nur die Willkür der Hand hat das Sagen sondern es sind auch die Bewegungen der Substanzen selbst, welche dem Bild Prozess über die psychische und formale Lenkung hinaus die Objektivität von Naturprozessen gibt. Entsprechungen von Wolkenbildungen, Gezeiten, Schaum und Rauch erschließen sich der Beobachtung. Das rauschhafte Einatmen der ätherischen Dämpfe  verbindet sich mit dem freigelegten Bildgedächtnis des Hirns. Pythia, die Seherin des delphischen Orakels, pflegte ihre dunklen Zukunftsverse unter dem Einfluss von Dämpfen den ängstlichen Pilgern mitzuteilen.

Angeregt ist diese Bilderwelt auch von Reisen nach Israel zu historischen Stätten, nach Spanien und Portugal, nach Leningrad und Nowgorod, nach England mit den mythischen Plätzen Stonehenge und Glastonbury und zu den Stätten der Kornkreise, nach Griechenland zu Stätten des Altertums wie Mykene und Delphi und in die Türkei nach Ephesos und Troja erweiterten den Horizont seines Wissens und seiner Wahrnehmung, was sich direkt und unmittelbar in seinem Werk wiederfinden lässt. Zwei zentrale Motive, die immer wieder auftauchen sind Don Quijote und Franz von Assisi. Es weht auch ein Hauch des Mystischen durch diese Formenwelten.